Hürden aus dem Weg geräumt – innovativ, pragmatisch, zupackend
Wo steht die Verwaltungsdigitalisierung im Jahr 2021?
Die Covid-19 Pandemie legt die Schwächen der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland schonungslos offen. Faxgeräte in den Gesundheitsämtern, ein Mangel an Infrastruktur, Konzepten und Kompetenzen in vielen Schulen, Frühwarn-Apps die am Datenschutz und Behörden die am Homeoffice scheitern. Ist die digitale Transformation des öffentlichen Sektors in Deutschland schon hoffnungslos verloren?
Das Motto des Digitalen Staats 2021 lautet “Audit Digitale Verwaltung” – eine Bestandsaufnahme. Doch wir wollen mit dem Trendreport nicht in den Chor der Pessimisten einstimmen, sondern unsere Bestandsaufnahme nutzen, um die Ideen und Initiativen zu zeigen, die den Weg in die Zukunft weisen. Corona hat nicht nur die Schwächen offenbart, sondern der Digitalisierung an vielen Stellen auch einen Schub verschafft. Sei es, dass plötzlich Hindernisse aus dem Weg geräumt werden konnten, die vorher als unüberwindlich galten oder dass Bürgerinnen und Bürger ihre Präferenzen im Zuge der Pandemie massiv verändern und digitale Lösungen einfordern. Daneben tragen aber auch bundesweite Initiativen Früchte, die bereits weit vor Corona eingeleitet wurden und jetzt Erfolge zeigen.
Bei der Recherche haben wir uns an unserem Trendreport 2019 orientiert: Vor zwei Jahren haben wir die Hürden analysiert, die dafür verantwortlich sind, dass die Digitalisierung in Deutschland zu oft nur schleppend vorankommt. Damals hatten wir sieben Hürden identifiziert:
- Die fehlende Nutzerorientierung der Digitalisierungsvorhaben;
- ein restriktiver Datenschutz;
- die Hemmnise einer föderalen Verwaltungsstruktur;
- die Kosten für die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten;
- fehlende Kompetenzen für die digitale Verwaltung;
- rechtliche Hürden und Grenzen der Gesetzgebung und
- die mangelnde Innovationsfähigkeit des öffentlichen Sektors.
In diesem Trendreport stellen wir Ihnen Beispiele vor, die zeigen, dass es anders geht. Wir stellen Akteure vor, denen es gelungen ist, mit innovativen Lösungen die Hürden aus dem Weg zu räumen oder zu überspringen. Und Projekte, bei denen Corona für den nötigen Schub und Dringlichkeit sorgt und alternative Wege ermöglicht. Die Beispiele stellen wir entlang der Empfehlungen vor, die wir vor zwei Jahren formuliert haben:
Die Nutzer in den Mittelpunkt digitaler Lösungen stellen!
Das haben wir 2019 empfohlen. Die BayernApp verfolgt diesen Ansatz mit Nachdruck. Ihr Anspruch ist es, sich als mobile Server-Plattform konsequent am Nutzungsverhalten zu orientieren. Die App entstand unter enger Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger im Rahmen eines Digitallabors. Bereits bei der BayernApp ist ein barrierefreier Zugang eine Anforderung an die Programmierer. Noch einen Schritt weiter geht das Modellprojekt “Digitales Dorf”: Über verschiedene analoge und digitale Formate werden gezielt auch nicht digitalaffine Bürgerinnen und Bürger angesprochen, die Digitalisierung im ländlichen Raum und in ihrem Dorf mitzugestalten. Und das Institut für digitale Teilhabe stellt die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt. Das 2021 gegründete Institut möchte mit anwendungsbezogenen Projekten die digitale Teilhabe im Alltag gerade auch in Bezug auf öffentliche Dienstleistungen stärken.
Datenschutz ernst nehmen und nicht überhöhen!
Das Registermodernisierungsgesetz verspricht hier nicht weniger als einen Durchbruch. Hannes Kühn, Stellvertretender Leiter des NKR-Sekretariats, erläutert im Interview, warum das Gesetz aus seiner Sicht ein Meilenstein für die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland ist und auch, was noch zu tun ist.
Föderalismus: Gemeinsame Ziele, koordinierte Umsetzung!
Baden-Württemberg zeigt, wie ebenenübergreifend mit einer Doppelstrategie die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) deutlich beschleunigt werden kann. Mit dem Universalprozess bietet das Land Baden-Württemberg seinen Kommunen einen Schnellbaukasten zur Digitalisierung von Antragsverfahren und einfachen Verwaltungsprozessen. So konnten in kürzester Zeit mehrere hundert “einfache” Verwaltungsleistungen rechtssicher digital angeboten werden.
Mit der Digitalisierung des Meldeprozesses nach einem Wohnortwechsel beweist die Hansestadt Hamburg mit einem nach dem EfA-Prinzip organisierten Digitallabor, wie auch komplexe Hindernisse “auf kurzem Dienstweg” aus dem Weg geräumt werden können, wenn die richtigen Personen mit einer gemeinsamen Idee und einem straffen Projektmanagement an einem Ziel arbeiten.
Digitalisierung als lohnende Investition begreifen!
Die Freie Hansestadt Bremen hat im letzten Jahr kräftig in die Digitalisierung der Schulen investiert. Alle Schülerinnen und Schüler wurden ab November 2020 mit iPads ausgestattet. Sie zeigt damit nicht nur, dass zur Digitalisierung auch der Mut zu größeren Investitionen gehört, sondern auch dass dieser Schritt nur der Schlusspunkt einer Investitionsstrategie war, an dessen Beginn der Wunsch nach Effizienzsteigerung und Kostensenkung gestanden hat.
Ähnlich wie in Bremen stand auch in der Stadt Schorndorf die Modernisierung und Standardisierung der öffentlichen IT am Anfang der Digitalisierung. Mit der Investition in leistungsfähige IT wurde aber zugleich der Weg zur Digitalisierung der Verwaltungsleistungen geebnet.
Verwaltung für digitale Kompetenzen öffnen!
Gerade Kommunen und Landkreise stehen vor der Herausforderung die Gestaltung der Digitalisierung in ihren Strukturen zu verankern. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf hat die neue Funktion eines CDO im Dezernatsbüro der Landrätin verankert, das als strategischen Stabsstelle fungiert. Gleichzeitig ist der CDO in ein Digitallotsennetzwerk eingebunden mit dem in den Ämtern gezielt Kompetenzen aufgebaut und ein Kulturwandel befördert wird.
Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld geht bei der Besetzung seiner CDO-Position einen besonders ungewöhnlichen Weg. Um bei den benötigten Kompetenzen keine Kompromisse zu machen, wurde die Stelle mit einer verwaltungserfahrenen Digitalunternehmerin extern besetzt. Die neue CDO bringt in ihrer Doppelrolle frischen Wind in die Kreisverwaltung.
Digitalen Vollzug bei der Rechtssetzung mitdenken!
Die elektronische Kfz-Zulassung mit i-Kfz in Bayern ist ein Beispiel, wo unter dem Druck der Corona-Pandemie rechtliche Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden konnten. Zunächst befristet hat der Freistaat das Authentifizierungs-Vertrauensniveau für das elektronische Portal i-Kfz gesenkt und erlaubt eine Authentifizierung allein mit der Bayern ID, Benutzername und Kennwort. Damit ist auch eine Diskussion eröffnet, weitere rechtlich vorgeschriebene Medienbrüche, die den digitalen Zulassungsprozess behindern, kritisch zu hinterfragen.
Innovationen Raum geben – mit Beidhändigkeit und Realismus!
Das Digital Innovation Team des BMI soll agile Arbeitsweisen in der Bundesverwaltung etablieren, um digitale Innovationen voranzutreiben. Die Erfahrung zeigt, nicht die Technik ist die zentrale Herausforderung, sondern “weiche Faktoren”; wie beispielsweise Kommunikation und ressortübergreifende Zusammenarbeit. Das dit.bund-Team lebt agile Methoden und Techniken vor und begleitet Partnerbehörden in gemeinsamen Projekten und Workshops dabei, ihre Arbeitsformen weiterzuentwickeln.
Auch die Stadt Karlsruhe hat es sich zur Aufgabe gemacht, agile Arbeitsweisen in der Verwaltung zu etablieren. Gleichzeitig will die Stadt mit einer stärkeren Vernetzung der Akteure von Verwaltung und Stadtgesellschaft auf die Herausforderungen einer komplexer werdenden Umwelt reagieren. Seit dem Jahr 2017 etabliert die Stadt daher in ihrer Verwaltung die IQ-Arbeitsweise. IQ steht dabei für “innovativ” im Sinne von agil, kreativitäts- und innovationsförderlich und “quer” für eine Quervernetzung über Fach- und Hierarchiegrenzen hinweg, einschließlich der Einbindung von Personen aus der Stadtgesellschaft. Dr. Björn Appelmann, Leiter der Stabsstelle Verwaltungs- und Managemententwicklung der Stadt Karlsruhe, erklärt im Video-Podcast, wie diese Arbeitsweise die Verwaltung verändert.
Die Beispiele zeigen, dass Deutschland auf dem Weg ist, die Hürden auszuräumen. Große, bundesweite Projekte wie das OZG und das Registermodernisierungsgesetz schaffen den Rahmen, in dem sich landesweit viele Initiativen in die richtige Richtung bewegen. Mit diesem auf aktuellen Beispielen aus der Praxis beruhenden “Trendreport” wollen wir kein Zwischenfazit zur Digitalisierung ziehen, sondern Impulse geben, Mut machen und zur Vernetzung und Nachahmung aufrufen.
Wir bedanken uns bei den vielen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, die uns in den vergangenen Wochen für Interviews und Video-PodCasts zur Verfügung gestanden und uns Einblicke in ihre Projekte und ihre Arbeit gewährt haben.
„Wir versuchen uns wegzubewegen von der klassischen hierarchischen Arbeitsweise.“
„Ich arbeite nicht für jeden, ich arbeite für alle und das finde ich hochgradig spannend.“
„Die iPads waren vielmehr eine Art Schlusspunkt, weniger der Start des Digitalisierungsprozesses an den Schulen. Aber natürlich geht diese auch jetzt weiter.“
„Das Besondere am Universalprozess ist die organisatorische und soziale Innovation!“
„Angebote wie die ‚digitalen Infotafeln‘ sind eine Bereicherung für unser Dorfleben und werden sehr gut angenommen.“
„Die Diskussion über ‚Users first‘ muss praktischer gedacht werden: Man sollte dabei viel mehr experimentieren!“