Chancen und Potenziale erkannt und genutzt
Die Digitalisierung stellt Kommunen aller Größen vor Herausforderungen. E-Government-Gesetze und das Onlinezugangsgesetz (OZG) sollen umgesetzt und digitale Dienste der Daseinsvorsorge entwickelt werden. Neben der Binnendigitalisierung und digitalen Dienstleistungen für Bürger*innen und Unternehmen steht also zunehmend auch die Umsetzung von Smart City-Vorhaben im Mittelpunkt. Vor dem Hintergrund knapper finanzieller wie personeller Ressourcen fällt es oftmals nicht leicht, die langfristigen Chancen und Möglichkeiten in den Mittelpunkt zu rücken und die Digitalisierung als lohnende Investition zu begreifen.
Eine Kommune, die dies getan hat, ist die „Daimlerstadt“ Schorndorf östlich von Stuttgart mit ihren knapp 40.000 Einwohner*innen. Über die Hintergründe, das Vorgehen und die Erfahrungen sprach der Trendreport mit dem stellvertretenden Leiter der Stabsstelle Digitalisierung, Claudiu Zenn.
Herr Zenn, viele Kommunen „kämpfen“ gerade mit der Umsetzung und Steuerung von Digitalisierungsvorhaben. Eine besondere Rolle spielt dabei natürlich das Onlinezugangsgesetz und seine Umsetzungsfrist bis Ende 2022. Wie wird die Digitalisierung in Schorndorf gesehen?
Zenn: Wir sehen in der Nutzung der Digitalisierung eine große Chance und begegnen den Möglichkeiten mit Offenheit, sodass wir bereits einige wichtige Initiativen und Projekte auf den Weg bringen konnten. Das hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren entwickelt und bedeutet natürlich nicht, dass wir nicht auch vor Herausforderungen stehen. Im Zuge dessen haben sich fortlaufend Veränderungen ergeben, die wir gemeinsam mit den Führungskräften und Mitarbeiter*innen der Verwaltung, aber auch mit den Bürger*innen angegangen sind. Heute können wir die Früchte dieser Arbeit ernten, wenngleich noch ein ganzes Stück Wegstrecke vor uns liegt. Auch wenn es manchmal recht einfach klingt: Die Digitalisierung geht weiter, sodass wir nicht stehen bleiben können.
Was oder wer hat den Anstoß für die Digitalisierung in Schorndorf gegeben?
Zenn: Die Digitalisierung hat in unserer Kommune etwa ab dem Jahr 2010 eine zusätzliche Dynamik erfahren. Wir hatten uns zwar bereits zuvor auf den Weg gemacht, waren aber noch nicht so schnell. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns gerade in einem Prozess der Umstellung auf ein neues kommunales Haushalts- und Rechnungswesen von der Kameralistik auf die Doppik. Wir hatten auch gerade einen neuen Kämmerer im Haus, der diesen Prozess bereits einmal mitgestaltet hatte und eine große Offenheit gegenüber Innovationen mitbrachte. Die Chancen der Digitalisierung für die Verwaltung und die Stadt wurden klar gesehen und als lohnende Investition aufgefasst. Daraufhin bildete sich eine gute Symbiose mit der IT-Abteilung. Es folgte die Verschmelzung von IT und Organisation im Bereich des Bürgermeisters, aus der dann auch die Stabsstelle Digitalisierung hervorgegangen ist.
Welche Meilensteine können Sie im Nachhinein identifizieren
Zenn: Ein erster Meilenstein, der vielleicht erst einmal simpel klingt, war die Konsolidierung und Zentralisierung der Druckerlandschaft. Hier begegneten wir jedoch einigen unerwarteten Widerständen, als die Drucker langsam aus den einzelnen Büros verschwanden und die Umstellung auch für viele sichtbar wurde. Den Umstellungsprozess haben wir daher mit einem Veränderungsmanagement begleitet. Es folgten dann Neuerungen in der Beschaffungsstruktur, indem wir mehr und mehr auf Rahmen- und Leasingverträge umgestiegen sind. Darüber hinaus haben wir das Rechenzentrum ausgebaut – wir haben ein vollständiges Back-up-Rechenzentrum geschaffen – und haben uns auch dem Thema des mobilen Arbeitens gewidmet. Damit hatten wir bereits 2008/2009 mit der Anschaffung von Smartphones und VPN-Zugängen begonnen und konnten somit anfangs 70 mobile Arbeitsplätze ermöglichen. Ein wichtiger Meilenstein war auch die Sanierung der Rathäuser, die eine neue IT-Infrastruktur erhielten, aber auch eine organisatorische Umstrukturierung mit sich brachte. Später folgte dann das digitale Ratssystem, das heute auf den iPads läuft.
Wir haben uns aber nicht nur mit der Verwaltung selbst beschäftigt, sondern beispielsweise auch die öffentliche WLAN-Infrastruktur ausgebaut. Das war vor allem technisch herausfordernd, da wir in nur einem Monat etwa 40 WLAN -Antennen installiert haben.
Seit 2015 bildet auch die Begleitung der Digitalisierung an den Schulen einen weiteren Schwerpunkt. Dies beinhaltete zum einem die IT-Betriebskonzeptionen und die Zentralisierung der Systeme im eigenen Rechenzentrum. Somit konnten Beschaffung, Administration und Service zusammengeführt werden. In diesem Zusammenhang wurden zuerst Pilotprojekte an drei Schulen durchgeführt, die dann wiederum an allen 14 Schulen ausgerollt werden konnten.
Da uns die umfassende Digitalisierung sehr wichtig war, haben wir 2018 auch am Wettbewerb „Digitale Zukunftskommune Baden-Württemberg“ teilgenommen. In diesem Kontext ist dann unsere Digitalisierungsstrategie entstanden, die die Entwicklung Schorndorfs zur Smart City mit zahlreichen digitalen Dienstleistungen für Bürger*innen hat. Während der Entwicklung haben wir die Bürger*innen, aber auch die Verwaltung in verschiedenen Beteiligungsformaten wie Workshops eingebunden. Das Ziel war und ist ganz klar eine moderne bürgernahe Verwaltung – das schließt die enge Einbindung der Verwaltungsmitarbeiter*innen und der Bürger*innen gleichermaßen ein.
Um all das zu verwirklichen, mussten wir natürlich die internen Grundlagen schaffen. Damit hatten wir bereits Anfang der 2010er Jahre begonnen. Einer der ganz zentralen Meilensteine für unsere interne Digitalisierung war daher sicher die Einführung des neuen Dokumentenmanagementsystems, das auch die Automatisierung vieler interner Prozesse und digitale Workflows ermöglichte. Wir hatten bereits 2011 mit der Einführung eines Dokumentenmanagementsystems (DMS) begonnen. Das hat anfangs auch wirklich gut funktioniert, später aber Defizite gezeigt. Daher haben wir uns dann für eine neue Lösung entschieden. Die Migration von einem auf das andere System hat uns einiges Kopfzerbrechen bereitet und war vor allem eine organisatorische Herausforderung.
Sie haben uns hier bereits viele spannende Einblicke in die vielfältigen Digitalisierungsmaßnahmen in Schorndorf gegeben. Noch einmal nachgefragt: Warum war gerade die Einführung des neuen DMS für die Verwaltungsdigitalisierung so wichtig?
Zenn: In unserem Dokumentenmanagementsystem laufen natürlich sehr viele Dinge zusammen, sodass es einen zentralen Knotenpunkt für unsere Arbeit bildet. Ich hatte erwähnt, dass wir zuerst auf eine Lösung setzten, die zwar anfangs gut war, aber nicht flexibel genug an unsere wachsenden Anforderungen angepasst werden konnte. Unsere heutige Lösung ist da deutlich besser und erlaubt es uns, interne Prozesse mit vergleichsweise wenig Aufwand auch selbst zu automatisieren. Kleine Programmierungen sind von unserer Verwaltung selbst aus möglich. Dieses Potenzial haben wir erkannt und nutzen es – beispielsweise in der Personalabteilung, in der wir einen Skript-basierten Personalworkflow einsetzen. Auf diese Weise haben wir bereits zahlreiche digitale Workflows implementieren können, die einen direkten Mehrwert bilden. Lassen Sie mich ein einfaches Beispiel anführen: Im Bereich der Stadtführungen haben wir eine Kollegin, die zu 100 Prozent ausgelastet war, jedoch trotzdem reduzieren wollte. Wir hatten also die Möglichkeit, eine weitere Person einzustellen – was nicht so einfach ist – oder zu schauen, ob wir Optimierungspotenziale finden. Wir haben uns für letzteres entschieden. Hierfür haben wir Workshops zu den IST-Prozessen durchgeführt und darauf aufbauend Soll-Prozesse definiert. Ergänzend haben wir geschaut, wo wir Abläufe automatisieren können. Dabei herausgekommen sind beispielsweise automatisch versendete E-Mails, Buchungsunterlagen, Rechnungen, und weitere automatisch erzeugte Dokumente. Das klingt erstmal simpel, im Endeffekt haben wir so aber eine Optimierung von 30 Prozent erzielen können. Die Kollegin konnte damit reduzieren, ohne dass wir eine weitere Person einstellen oder Aufgaben umorganisieren mussten
Das von Ihnen angeführte Beispiel zeigt, dass man sich manchmal nur entsprechende Gedanken machen muss und dann auch gute Lösungen gefunden werden können. Manchmal scheint der größte Effekt auch in kleinen Lösungen zu liegen. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung in Schorndorf?
Zenn: Hier kommen unterschiedliche Aspekte zusammen, die sich gegenseitig ergänzen. Ein ganz wesentlicher ist sicherlich, dass die richtigen Personen am richtigen Ort waren. Der damalige Kämmerer – und heutige Bürgermeister – hat das Potenzial der damals schon guten Infrastruktur erkannt und darauf aufgebaut. Das Thema bekam dadurch auch eine größere Sichtbarkeit. Das gilt auch für die organisatorische Verankerung der Digitalisierung, die als Stabsstelle direkt beim Bürgermeister angesiedelt ist. In der Stabsstelle wurden die Einheiten Organisation und IT zudem zusammengefasst. Das ermöglicht es, Abläufe und technologische Möglichkeiten zusammenzudenken und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Die Digitalisierung wird somit oftmals gleich mitgedacht. Wenn es gelingt, dabei die Mehrwerte für unsere Kolleg*innen von Beginn an herauszustellen und einfache Lösungen zu entwickeln, ist das ein wichtiger Punkt.
Neben unserer eigenen Digitalisierungsstrategie, die wir 2018 erarbeiteten, fungierten auch das E-Government-Gesetz in Baden-Württemberg und das Onlinezugangsgesetz als Enabler. Verwaltungen arbeiten auf einer gesetzlichen Grundlage, sodass auch die Gesetze zur Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben bzw. zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen eine verbindliche Grundlage bilden, auf deren Basis die ein oder andere interne Diskussion verkürzt werden kann, weil es eben gemacht werden muss.
Was waren denn neben den Erfolgsfaktoren Ihre Herausforderungen?
Zenn: Herausforderungen sind uns auf dem Weg natürlich einige begegnet. Aus technischer Sicht war die Installation des WLANs für Bürger*innen sicherlich eine große Herausforderung. Wir haben hier, wie bereits gesagt, in nur einem Monat etwa 40 WLAN -Antennen installiert. Auf der organisatorischen Ebene war die Migration von unserem ersten DMS auf die neue Lösung nicht einfach und hat uns eine ganze Zeit lang beschäftigt. Letztlich hat sich der Aufwand aber auf jeden Fall gelohnt. Mit Blick auf die kulturelle Perspektive war die Einführung eines Dokumentenmanagementsystems – also unserer ersten DMS-Lösung – eine große Herausforderung, da wir so etwas bis dahin nicht hatten. Auch die Konsolidierung der Druckerlandschaft war kulturell betrachtet nicht leicht. Wir hatten ursprünglich 128 verschiedene Druckertypen und haben auf fünf Typen von Multifunktionsgeräten konsolidiert. Das bedeutete auch, dass die Drucker aus den Büros verschwanden. Das kam nicht überall gleich gut an. In einem Fall wurde uns sogar vorgerechnet, wie viele Schritte nun bis zum Drucker nötig seien und wie viel zeitlicher Mehraufwand dadurch entsteht. Das klingt aus heutiger Perspektive amüsant, es zeigt aber auch, wie wichtig es ist, alle Mitarbeiter*innen in den Verwaltungen auf diesem Weg mitzunehmen. Das versuchen wir, aber sicher können wir da auch noch besser werden. Die Akzeptanz ist heute schon viel höher und es wird der Digitalisierung offener begegnet. Dazu hat sicher auch unser internes Vorschlagswesen einen Beitrag leisten können.
Können Sie uns noch einen Einblick geben, wo Sie aus heutiger Sicht die größten Wirkungen sehen
Zenn: Wesentliche Wirkungen sehen wir in den internen Prozessautomatisierung und den implementierten digitalen Workflows. Das hilft uns bei der Arbeit und hat positive Effekte auf die Dauer und Qualität unserer Arbeit. Perspektivisch werden damit auch weitere Einsparungen verbunden sein – nicht zuletzt, weil wir Stellen gar nicht mehr nachbesetzen können. Digitalisierung wird aus meiner Sicht keine Arbeitsplätze in den Verwaltungen verdrängen, sondern uns vielmehr helfen, die anstehenden Aufgaben weiterhin zu erledigten, weil wir aufgrund des demografischen Wandels nicht mehr so viel Personal werden gewinnen können. Die größten Effekte gibt es dabei sicherlich im mittleren Dienst sowie in den Querschnittsbereichen – beispielsweise im Personal- aber auch im Rechnungswesen. Hinzukommen aber auch das Bau- und Ordnungsamt. Es ist schwierig die genauen Wirkungen aus heutiger Sicht zu quantifizieren, da die ursprüngliche Dauer und damit verbundene Kosten nicht hinreichend analysiert oder dokumentiert wurden. Das macht den unmittelbaren Vergleich schwierig. Neben Einsparungen geben uns die digitalen Tools vor allem auch neue und zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten, insbesondere bei Querschnittsprozessen, da wir viel mehr Daten nutzen können.
Wir sehen hier aber weiterhin einiges Potenzial. Neben internen Abläufen sind wir dabei, die Schnittstellen nach „außen“ zu optimieren. Der digitale Posteingang sollte eigentlich schon abgeschlossen sein. Dann kam die Covid-19-Pandemie kurz vor der Einführung, sodass es sich verzögert. Die Prozesse sind aber bereits durchleuchtet und der Kauf der Hardware steht kurz bevor. Des Weiteren sind wir dabei unseren Rechnungsworkflow weiter zu optimieren. Das ist das, was bereits läuft.
Welche Schritte sind in Schorndorf zukünftig geplant?
Zenn: Wir denken die Digitalisierung bereits bis 2030. Wichtige Ziele sind dabei die Ermöglichung einer Verwaltung „24/7“, die papierlos arbeitet und durch den Einsatz künstlicher Intelligenz unterstützt wird. Eine Idee ist hierbei die Ausstattung eines Bürgerbüros mit einem Selbstbedienungsterminal – und irgendwann hoffentlich durchgängigen Öffnungszeiten. Bürger*innen sollen ihre Verwaltungsangelegenheiten dadurch einfacher erledigen können und mithilfe von selbstlernenden Algorithmen durch die Prozesse geleitet werden. Im Bedarfsfall kann ein*e Mitarbeiter*in hinzugeschaltet werden, der/die dann bedarfsgerecht unterstützt, wo standardisierte Verfahren noch an Grenzen stoßen. Dies kann aber wiederum über ein Videosystem erfolgen, sodass Verwaltungsmitarbeiter*innen flexibler und weniger ortsabhängig arbeiten können. Durch die mobile Verwaltung können bestimmt zehn Prozent der Büroarbeitsplätze eingespart werden.
Derzeit bewerben wir uns auch zusammen mit Schwäbisch-Gmünd im BMI-Smart City-Programm. Auch hier haben wir unterschiedliche Ideen und Konzepte von den Schorndorfer Schnellinformationen, die virtuelle Assistenz für Bürger*innen, die ich schon kurz beschrieben habe, aber auch den Aufbau von IoT-Netzwerken bis hin zu einem digitalen Zwilling. Das ist alles ambitioniert und wir werden auch nicht alles gleichzeitig machen können. Wir wollen die Chancen aber nutzen und uns hier weiter auf den Weg machen. Eine große Herausforderung, die uns dabei immer begleitet, ist natürlich die IT-Sicherheit.
Sie haben tatsächlich eine ganze Menge vor und auch schon einiges erreicht. Was würden Sie anderen Kommunen aufgrund Ihrer Erfahrungen mit auf den Weg geben?
Zenn: Es ist immer schwierig, hier Empfehlungen zu geben. Es gibt auch in anderen Städten und Gemeinden gute Ansätze, von denen wir lernen können. Für uns hat es sich als positiv erwiesen, dass wir uns bei manchen Dingen auch einfach mal getraut haben, etwas Neues zu probieren. Da kann natürlich auch etwas schief gehen. Letztlich hilft es aber, auch einfach mal zu machen und gute Ideen auszuprobieren. Dabei ist es wichtig, die Mitarbeiter*innen mitzunehmen und den Mehrwert deutlich zu machen. Das schließt auch ein, Ängste und Probleme ernst zu nehmen. Viele Probleme sind menschlicher Natur und oftmals keine technischen. Wenn sie bekannt sind, können wir offen nach gemeinsamen Lösungen suchen. Dabei spielt natürlich auch Chemie zwischen Menschen eine Rolle.
Aus technischer Perspektive versuchen wir uns bei der Entwicklung von Lösungen an der Pyramide aus erstens der Infrastruktur, zweitens der IT, also der Software, und anschließend der Digitalisierung, die konkrete Dienste, Prozesse und damit die Automatisierung umfasst, zu orientieren.
Der Autor des Beitrags ist Matthias Canzler.