Tablets eher „Schlussstein“ als Start des Prozesses
Im Zuge der Covid-19-Pandemie zeigt sich, dass die Gestaltung der Digitalisierung durch innovative Lösungen lohnende Investitionen sind, die unser Land auf allen föderalen Ebenen widerstandsfähiger macht und Handlungsfähigkeit – auch in Krisensituationen – sicherstellt. Kaum ein Bereich steht derzeit so stark im Fokus wie die Digitalisierung der Schulen. Die Covid-19-Pandemie hat die Defizite deutlich sichtbar gezeigt. In der Konsequenz werden derzeit unterschiedliche Ansätze, Konzepte, Modelle und Lösungen mit großem Handlungsdruck erprobt. Der Bildungsbereich ist zu einem großen Experimentierfeld geworden.
Auch die Freie Hansestadt Bremen hat im letzten Jahr kräftig in die Digitalisierung der Schulen investiert. Alle Schülerinnen und Schüler wurden ab November 2020 mit iPads ausgestattet; Lehrerinnen und Lehrer bereits im Sommer. Das bringt natürlich auch einige Fragen mit sich, z. B.: Braucht wirklich jede Schülerin/jeder Schüler ein iPad vom Staat? Muss es unbedingt ein iPad sein? Ist die Beschaffung einer solch großen Zahl mobiler Endgeräte nicht am Ende Symbolpolitik?
„All diese Fragen haben wir uns in Bremen natürlich selbst gestellt und sind am Ende zu dem Entschluss gekommen, dass die Initiative richtig ist“, sagt Dr. Rainer Ballnus, Leiter der Stabsstelle Digitalisierung bei der Senatorin für Kinder und Bildung Bremen. Der DigitalPakt Schule des Bundes fördert nur die Bereitstellung von Endgeräten für sozial benachteiligte Familien. Und tatsächlich ist nicht jeder Haushalt darauf angewiesen, dass die Kinder ein iPad gestellt bekommen. Aber wo zieht man die Grenze? Was ist noch gerecht und was nicht mehr? Daher habe sich Bremen bewusst für den ganzheitlichen Ansatz entschieden – das erleichtere auch die zentrale Administration, so Dr. Ballnus. Auch das war am Ende ein Grund für die Beschaffung von iPads. Hinzu kommt, dass eine solch große Zahl an mobilen Endgeräten gar nicht alle Hersteller liefern hätten können. Bleibt die Frage nach der Symbolpolitik: „Natürlich war das erstmal eine große Sache und wurde medienwirksam dargestellt. Bremen hat die Weichen für die Digitalisierung der Schulen aber bereits vor 10 bis 15 Jahren gestellt. Die iPads waren vielmehr eine Art ‚Schlussstein‘, weniger der Start des Digitalisierungsprozesses an den Schulen.“
Digitalisierung begann Anfang der 2000er Jahre
Die ersten Schritte für die Digitalisierung der Schulen wurden bereits Anfang der 2000er Jahre getroffen, indem die Standardisierung der sonst sehr heterogenen IT-Infrastruktur vorangetrieben wurde. Ursächlich dafür ist auch die angespannte Haushaltlage der Freien und Hansestadt gewesen, sodass nach Lösungen gesucht wurde, durch Konsolidierungen Effizienzgewinne zu erzielen. Das Resultat war das SuBITI-Programm (Service und Betriebskonzept für die IT-Infrastruktur der Stadtgemeinde Bremen) im Jahre 2003, das standardisierte IT-Systeme und eine Fernadministration implementierte. Schuleigene Server gehörten damit bald der Vergangenheit an.
Als zweiter Schritt folgte ein zentrales Identitätsmanagement. Es wurde ein einheitlicher Zugang zu den IT-Systemen und -Lösungen sowie den Daten geschaffen. Alle Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schülerinnen und Schüler erhielten eine eigene E-Mail-Adresse, mit der sie sich anmelden können. Die Daten wurden zentral übernommen und blieben, wie auch die E-Mail-Adresse, bei Schulwechseln bestehen. Zum Vergleich: ein einigermaßen zentrales Identitätsmanagement ist in einigen Bundesländern bis heute noch nicht Standard.
Als dritter Schritt folgte – nachdem die Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen wurden, die Ausstattung mit W-Lan. Heute sind alle Schulen in Bremen ab der fünften Klasse mit W-Lan ausgestattet. Bei den Grundschulen wird dies im Laufe des Jahres noch vervollständigt. Die Einwahl ist wiederum über den standardisierten E-Mail-Account möglich.
Nachdem die grundlegende IT-Infrastruktur geschaffen worden ist, rückte die Frage nach einer digitalen Lernplattform ab etwa dem Jahr 2010 stärker in den Fokus. „Was aber sollte eine solche Plattform leisten? Und was macht eine gute Plattform aus? Das war zu diesem Zeitpunkt keine trivialen und leicht zu beantwortenden Fragen. Daher haben wir eine Umfrage zu den Anforderungen durchgeführt und schließlich in den Jahren 2013 und 2014 eine Pilotierung gestartet“, so Dr. Ballnus. Letztlich habe man sich 2015 für die kommerzielle Lösung „itslearning“ entschieden. Aber auch das sei erstmal „nur“ eine Hülle gewesen, die es anschließend mit Inhalten zu füllen galt.
Was nach all diesen Initiativen zur Digitalisierung an den Schulen noch fehlte, waren geeignete Präsentationsmedien und mobile Endgeräte in den Klassenräumen. Und hier kommen die iPads ins Spiel, die im Jahre 2020 beschafft worden sind. „Die Covid-19-Pandemie hatte ganz klar eine beschleunigende Wirkung: Zum einen wurde der Bedarf durch die Notwendigkeit des Distanzunterrichts mit einem Mal sichtbar. Zum anderen wäre die Finanzierung ohne die zusätzlichen Mittel aus Digitalpakt und Corona-Fond schwierig geworden“, so Dr. Ballnus. Dabei sei es aber nicht unbedingt darum gegangen iPads zu kaufen. Im Vordergrund standen die Überlegungen zu Steuerung und Administration. Diese seien auf einem gleichen Endgerät einfacher, als wenn die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Geräte nutzten. Ähnlich wie bereits Anfang der 2000er Jahre war das Ziel eine Standardisierung. Und die sei, so Dr. Ballnus, vor allem durch zentrale Finanzierung herzustellen: „Denn letztendlich steuert der, der auch zahlt!“
Die von der Freien Hansestadt Bremen gekauften iPads sind für Schülerinnen und Schüler nicht frei konfigurierbar. Apps können nicht aus dem klassischen App-Store geladen werden, sondern aus einem Student-Store. Die dort verfügbaren Anwendungen sind inhaltlich kuratiert, technisch geprüft und auf die jeweiligen Altersgruppen zugeschnitten. Auch im Unterricht können Schülerinnen und Schüler nicht machen, was sie wollen. Lehrerinnen und Lehrer können die iPads zentral über eine Classroom-App steuern, wenn dies für den Unterrichtsverlauf hilfreich ist. Die „Beschaffungsoffensive“ war wiederum eingebettet in die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern. Sie erhielten ihre iPads sowie Schulungsangebote bereits im Sommer 2020. Zudem können die Lehrkräfte ihre dienstlichen iPads individuell um Apps ergänzen. „Die Akzeptanz und Nutzung ist sowohl bei den Lehrerinnen und Lehrern–als auch den Schülerinnen und Schülern sehr hoch. Das zeigt sich auch in den eingerichteten FAQs und Foren, die sehr rege genutzt werden. Aber natürlich gibt es nach wie vor Baustellen, die wir angehen müssen. Dazu kommen auch neue Fragestellungen, wie beispielsweise die Implementierung neuer Apps. Jetzt müssen wir dem Ganzen erstmal etwas Zeit geben. Wir haben uns jetzt auf den Weg gemacht und führen begleitende externe Evaluationen durch, um die Wirkungen zu analysieren“, sagt Dr. Ballnus.
Neue Herausforderungen entstehen
Bisher zeigt sich in Bremen, dass sich Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler, aber auch die Eltern mit digitalen Angeboten und den Inhalten beschäftigten. Aus der „flächendeckenden“ Nutzung mobiler Endgeräte und digitaler Bildungsangebote entstehen wiederum neue Herausforderungen. Eine davon adressiert die Frage, welche Lösungen Eingang in den Student-Store finden und wie der Prozess dafür ausgestaltet werden soll. Das schließt die Aspekte der Anforderungen an die Apps (Didaktik, Barrierefreiheit, Werbefreiheit, Datenschutz, etc.) aber auch die Frage nach Lizensierungen – also wer die App letztlich kauft – ein. „Für all diese Fragen ist ein geordnetes und transparentes Verfahren notwendig. In Bremen haben wir bereits jetzt einen ‚App-Stau‘ von etwa 100 Apps. Da sind wir dran. Es zeigt aber auch, wie viele Personen sich damit beschäftigen und Vorschläge unterbreiten“, betont Dr. Ballnus. Um diesen Prozess zu gestalten und Unterstützung zu bieten, hat Bremen neue Stellen für digitale Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie den technischen Support geschaffen.
Insgesamt zeigt das Beispiel Bremens, wie die Digitalisierung in den Schulen vorangetrieben werden kann. Der Kauf von iPads oder anderen mobilen Endgeräten reicht da nicht aus. Die Grundlagen wurden tatsächlich viel früher gelegt. Auch das unterstreicht die Komplexität. Der Blick nach Bremen kann anderen Bundesländern und Schulträgern bei der eigenen Digitalisierung im Bildungsbereich helfen – auch wenn sich nicht immer alles einfach übertragen lässt.
„Die iPads waren vielmehr eine Art Schlusspunkt, weniger der Start des Digitalisierungsprozesses an den Schulen. Aber natürlich geht diese auch jetzt weiter.“
Der Autor des Beitrag ist Matthias Canzler.