Viele Kommunen und Landkreise stehen vor der Herausforderung die Gestaltung der Digitalisierung in ihren Strukturen zu verankern. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf nimmt sich diesem Prozess bewusst und systematisch an, wie Ralf Laumer, Leiter der Stabsstelle „Dezernatsbüro der Landrätin“, im Interview erläutert.
Herr Laumer, wie begegnen Sie den Herausforderungen der Digitalisierung in ihrem Landkreis?
Laumer: Im Landkreis Marburg-Biedenkopf wollen wir die Digitalisierung strategisch und nicht mehr nur operativ denken. Wir haben daher die Rolle des Chief Digital Officer (CDO) als Mittler zwischen verschiedenen Ebenen innerhalb der Landkreisverwaltung und als An-sprechpartner für die Digitalisierung geschaffen. Dieser ist Teil der strategischen Stabsstelle „Dezernatsbüro der Landrätin“ und wirkt so direkt an der oberen Ebene mit, um das Thema strategisch zu priorisieren und die Möglichkeiten der Beschleunigung zu erhöhen. Wir haben uns dagegen entschieden eine eigene Organisationseinheit für den CDO zu schaffen, um die bestehenden Abläufe und die Kommunikation der Stabsstelle mit den Fachbereichen sowie die Nähe zur Landrätin zu nutzen. Gleichzeitig ist der CDO in ein Digitallotsennetzwerk eingebunden, das übergreifende Arbeit möglich macht und einen Kulturwandel befördert.
Wie können wir uns die Rolle des CDO in Ihrem Landkreis vorstellen?
Laumer: Die Rolle des CDO kommt ursprünglich aus der Privatwirtschaft und wurde dort geschaffen, um das bestehende Geschäftsmodell zu digitalisieren und neue digitale Leistun-gen, Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Übertragen auf die Landkreisverwaltung in Marburg-Biedenkopf ist der CDO für die Umsetzung der digitalen Strategie zuständig, berät die Landrätin beim Aufbau eines digitalen Ökosystems im Landkreis und ist Teil unserer Bemühungen eines kontinuierlichen Kulturwandels. Die „Führung“ der Digitallotsen funktioniert durch das Aufzeigen der Notwendigkeit der digitalen Transformation. Die Weisung zur Umsetzung muss aber aus den Abteilungen heraus erfolgen. Der CDO hat vielmehr die Augabe das Bewusstsein für den digitalen Wandel in die Fläche zu tragen, die Mitarbeiter*innen bei der Qualifizierung im Kontext der Digitalisierung zu unterstützen, Informationen und die betreffenden Stellen zusammen zu führen und Ideen anzustoßen. Die Rolle des CDO ist somit insbesondere eine steuernde, koordinierende und vernetzende sowie Prioritäten erarbeitende.
Ein CDO kann ja tatsächlich nicht alles machen. Welche ergänzenden Strukturen haben Sie im Landkreis Marburg-Biedenkopf aufgebaut? Und wie funktioniert das in der Praxis?
Laumer: Bereits vor der Einführung der Rolle eines CDOs versuchten im Landkreis Marburg-Biedenkopf einzelne Mitarbeiter*innen die Digitalisierung verwaltungsintern voranzutreiben. Um diese motivierten Mitarbeiter*innen besser zu unterstützen und zu vernetzen, wurde mit dem Aufbau des Digitallotsennetzwerks eine formalere Struktur angestrebt. Pro Fachdienst ist mindestens ein*e Digitallots*in vorgesehen. Interessierte Mitarbeiter*innen können sich für die Rolle freiwillig melden und erhalten einen Arbeitszeitausgleich. Die Digitallots*innen fungieren als Mittler zwischen den Organisationseinheiten und dem CDO, der wiederum in verschiedene interne Netzwerke und AGs eingebunden ist. Die strategischen Impulse kommen dabei sowohl vom CDO als auch aus einer breit aufgestellten Steuerungsgruppe, die im Landkreis quartalsweise zusammenkommt. Diese steuert den gesamtstrategischen Ansatz der Digitalisierung und verantwortet deren Umsetzung, die Ressourcenzuord-nung und die Priorisierung der Digitalisierungsprozesse.
Welche Aufgaben haben die Digitallots*innen?
Laumer: Die Digitallots*innen treiben die Digitalisierung in Ihren Fachbereichen. Sie verei-nen ein erweitertes Fachwissen der technischen Möglichkeiten und Perspektiven der Digitali-sierung mit der Rolle als Impulsgeber*in und Ansprechpartner*in bei Problemen und Bedenken. Sie bringen sich aktiv als direkte Ansprechpartner*in für Kolleg*innen mit ihrem Wissen um die Digitalisierung und neue Ideen in die Verwaltung ein, setzen sich mit deren Fragen und Ängsten auseinander und zeigen Lösungen auf. Die Digitallots*innen tauschen sich sowohl untereinander als auch mit den Fachexpert*innen in ihren Bereichen aus, um die Bedürf-nisse und Potenziale für neue Technologien und Prozessveränderungen zu erkennen. Bei den angestrebten Veränderungen unterstützen und beraten die Digitallotsen bei Planung, Entwicklung und Umsetzung. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, stellt die Steuerungsgruppe den Digitallots*innen Ressourcen, Instrumente und Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung. Entsprechend des im Landkreis Marburg- Biedenkopf vorherrschenden Open Government-Gedankens soll und muss sich das Digital-Lotsin*nnen-Netzwerk ein Stück weit selbst organisieren.
Was würden Sie anderen Landkreisen für die Gestaltung von Digitalisierungsfragen aufgrund Ihrer Erfahrungen mit auf den Weg geben?
Laumer: Der Weg hin zu geeigneten Strukturen für die digitale Transformation ist ein Pro-zess, der sich über einen längeren Zeitraum hinziehen kann. Beispielsweise wurden im Landkreis Marburg-Biedenkopf zunächst über die Teilnahme an einem Modellprojekt zu Open Government Menschen in die Verwaltung integriert, die frischen Wind reinbringen und zur Kulturentwicklung beitragen. In einem nächsten Schritt wurden die IT und der Bereich Cy-bersicherheit neuorganisiert, die Rolle des CDO geschaffen und ein Digitallotsennetzwerk etabliert. Als ein weiterer Schritt ist die Rolle eines OZG-Koordinators geplant, der die Bestrebungen der Kommunen bei der Umsetzung der OZG-Maßnahmen koordiniert und ver-netzt. Die Verknüpfung mit übergeordneten Themen wie z.B. der Modernisierung der Verwaltung kann dabei sinnvoll sein. Eine grundsätzliche Erfahrung ist, dass die Aufgabe der Digitalisierung im Organigramm stehen muss, um sichtbar zu sein. Wichtig ist auch, die Kompeten-zen im eigenen Haus wie beim Konzept der Digitallotsen zu nutzen. So bildet sich ein großes Netzwerk, welches auch über die Grenzen der Landkreisverwaltung hinweg Ideen und Pro-jekte voranbringen kann. Denn die Digitalisierung wird Verwaltungen weiter verändern und damit auch ihre Strukturen.
Der Autor des Beitrags ist Lorenz Löffler.